Dienstag, 21. Mai 2013

Vom Schutz der Persönlichkeit

Leserin Milena P.* sah sich beim Salatessen im Freien unverhofft einer fliegenden Kamera gegenüber. Darf sie einfach so gefilmt werden? Tagesanzeiger.ch/Newsnet klärte den Fall ab.


 
Milena P.* sitzt in einer Gartenwirtschaft am Greifensee bei Niederuster und hört dieses hochfrequente Surren näher kommen, das entfernt an einen Zahnarztbohrer erinnert. Sie schaut sich um und blickt in die Linse einer Gopro-Kamera, die an dem Quadrocopter montiert ist, der fünf Meter über ihr schwebt. «Ich will in Ruhe essen, und mich stört es, wenn mir ein fliegendes Auge in den Teller guckt», sagt die junge Frau. «Ich habe mich umgeschaut, der Typ mit der Fernsteuerung war nirgends zu sehen.» Das Fluggerät ist nach einigen Sekunden weitergeflogen und hat eine empörte Milena P. zurückgelassen. «Ich will mich doch nicht auf Youtube sehen, wie ich einen Salat esse.» Alle Gäste in der gut besetzten Wirtschaft seien von der Drohne gestört worden, und einige hätten beim Besitzer intervenieren wollen, sagte sie weiter.

Szenenwechsel. Ein Balkon in der dritten Etage mit Blick auf Quartierstrasse und Nachbarhäuser in Zürich-Wiedikon. Ingo C.* sitzt auf dem Balkon, raucht eine Zigarette und trinkt Kaffee. «Ich wollte gerade telefonieren, da hörte ich erst das Surren, und dann tauchte dieses Ding keine zwei Meter vor mir auf.» Der Familienvater wollte sich nicht filmen lassen. «Ich habe mir den Besen gegriffen und wollte das Gerät aus der Luft fegen, aber da war es schon weggeflogen.» Auch Ingo C. hat niemanden mit einer Fernsteuerung gesehen. «Haben die eigentlich keinen Respekt vor der Privatsphäre anderer Leute?»

Die beiden sind keine Einzelfälle. Quadrocopter können ein ganzes Restaurant verärgern, aber kaum jemand würde wegen eines solchen Fluggerätes Anzeige erstatten, wie Judith Hödl, Mediensprecherin der Stadtpolizei Zürich, bestätigt: Bisher seien keine Anzeigen erstattet worden – weder wegen Lärmbelästigung noch wegen Verletzung der Privatsphäre. Das könnte auch einen anderen Grund haben. Milena P. wusste nach eigenen Angaben gar nicht, dass sie sich rechtlich gegen das fliegende Auge wehren könnte.

Im Büro des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (Edöb) verfolgt man die Entwicklung mit wachsendem Interesse. Mediensprecherin Eliane Schmid: «Seit solche Geräte immer billiger werden, wächst das Gefährdungspotenzial für die Privatsphäre kontinuierlich an. Wir werden die Entwicklung im Auge behalten.»

In beiden eingangs geschilderten Fällen sieht Schmid einen Verstoss gegen das Datenschutzgesetz: «Wer erkennbare Personen aufnimmt, benötigt einen Rechtfertigungsgrund, also die Einwilligung der Betroffenen.» Ein Verstoss liegt auch vor, wenn «Aufnahmen von normalerweise nicht einsehbaren Orten gemacht werden». Als Beispiel führt Schmid das Bundesgerichtsurteil zu Google Street View an. Demnach muss Google die Aufnahmegeräte auf den Autos tiefer anbringen, weil die Kameras Einblicke in umfriedete Höfe oder über Hecken gewährt haben, die sonst für einen Passanten oder Automobilisten nicht einsehbar gewesen wären. «Wenn ein solcher Drohnenpilot beispielsweise durch ein Fenster ins Wohnungsinnere filmt, kann er eventuell auch strafrechtlich belangt werden», sagt Schmid weiter, «denn dann liegt eine Verletzung des Privat- oder gar des Geheimbereichs vor.»

Quadrocopter der unteren Preisklasse können mit einer Batterieladung etwa 10 Minuten in der Luft bleiben und bis auf 300 Meter Distanz ferngesteuert werden. Die leistungsfähigeren und auch deutlich teureren Modelle, ab 2000 Franken, können bei einer höheren Nutzlast einige Minuten länger in der Luft bleiben und haben eine Reichweite von 500 Metern und mehr. Dies entspricht etwa der Distanz Paradeplatz bis See. 

Für den Betrieb von Drohnen und Flugmodellen unter 30 Kilogramm Gewicht benötigt man keine Bewilligung vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl). Allerdings ist die Verordnung des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) über Luftfahrzeuge besonderer Kategorien einzuhalten. Diese verlangt unter anderem, «dass der ‹Pilot› jederzeit direkten Augenkontakt zu seinem Flugobjekt hat». Dies ist nicht immer gewährleistet. Viele Modelle lassen sich mit Videobrille steuern. Auch hierfür gibt es Regeln: «Will jemand technische Hilfsmittel wie Feldstecher oder Videobrillen einsetzen, um die natürliche Sichtweite der Augen zu erweitern, ist dafür eine Bewilligung des Bazl erforderlich.»

Diese Regel kann umgangen werden, wenn man eine weitere Person zuzieht: «Innerhalb des Sichtbereiches des ‹Piloten› ist der Betrieb mit Videobrillen und dergleichen gestattet, sofern ein zweiter ‹Operateur› den Flug überwacht und bei Bedarf jederzeit in die Steuerung des Fluggerätes eingreifen kann. Der ‹Operateur› muss sich am gleichen Standort befinden wie der Pilot.»  Das Reglement erlaubt auch Luftaufnahmen. Diese sind zulässig, «sofern die Vorschriften zum Schutz militärischer Anlagen berücksichtigt werden. Zu beachten sind dabei auch der Schutz der Privatsphäre respektive die Vorschriften des Datenschutzgesetzes.» Das heisst, es dürfen keine Personen erkennbar abgebildet werden. Ein weiterer Regelpunkt lautet: «Wer eine Drohne oder ein Flugmodell mit mehr als 500 Gramm Gewicht betreibt, muss für allfällige Schäden eine Haftpflichtdeckung im Umfang von mindestens 1 Million Franken gewährleisten.»

(*Namen der Redaktion bekannt)  

Quelle: Tagesanzeiger.ch/Newsnet

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